Celia Dropkin war eine radikale Modernistin, die über vieles hinausging, was bis dahin von Frauen – nicht nur auf Jiddisch – geschrieben worden war: Wie nur wenige vor ihr wagte sie es, über Erotik und körperliche Liebe, Lust und Leidenschaft, Schmerz und sexuelle Unterwerfung, Gewalt, Selbstmord und Todessehnsüchte zu schreiben. Verstörend für viele Zeitgenossen, wird sie nun aufs Neue in ihrer Modernität erfahrbar. Ihre Lyrik greift aber weit über diese skandalisierten, emanzipatorischen Inhalte hinaus, reicht von Naturgedichten, über Landschaften der Seele von hoher Innerlichkeit und Wiegenlieder bis zu unverhüllter Sinnlichkeit. Ihr Gesamtwerk von rund 150 Gedichten zeigt sie als eine der herausragenden Dichterinnen (nicht nur) der jiddischen Moderne, manchen gilt sie als die »First Lady« der jiddischen Poesie.
Diese Auswahl aus Celia Dropkins einziger Lyriksammlung In hejsn wint von 1935 bietet einen Querschnitt aus ihrem Werk jedem der 22 Buch- staben des jiddischen Alphabets ist dabei ein Gedicht zugeordnet, darunter Schlüsseltexte wie das vampirhafte »Ein Kuß«, wie »Mein schöner Luzifer «, »Ich habe ein Messer genommen«, »Die Zirkusdame« oder »An eine junge Dichterin«. Der Titel Alef-bejs fun der libe geht auf ein künstlerisches Bühnenprogramm von Anna Rozenfeld und Agnieszka Legutko zurück. Damit ist Celia Dropkin erstmals in Deutschland zu entdecken – und in Polen zugleich. Das Nebeneinander von jiddischem Original, YIVOTranskription und den Übersetzungen ins Deutsche wie ins Polnische spiegelt wider, wie sehr das Jiddische in vielen Ländern zuhause war: Grenzenüberschreitend ist Celia Dropkins Beitrag zum übernationalen »Jiddischland« nun im reizvollen Vergleich des Originals mit zwei der Sprachen zu lesen, in denen das Jiddische vor Jahrhunderten wurzelte.