«Bleib gesund!» Dieser Gruß wurde im vergangenen so apokalyptisch anmutenden Jahr prominent. Er wurde erst mitfühlend, dann inflationär und schließlich diktatorisch verwendet. Denn dieser Wunsch ist im Imperativ formuliert, und so fühlten sich einige politische Maßnahmen auch an. Die Autorin nimmt darauf eine konsequent spirituelle Perspektive ein. Sie tut dies leidenschaftlich und klar, weise und scharf, poetisch und reflexiv. Dabei spitzt sie die Dinge zu, um von dort Ausblicke geben zu können und Kontexte zu erkennen. Sie formuliert - metho- disch - deutliche Entweder-oder-Positionen, die aber eingebettet sind - inhaltlich - gerade in eine versöhnen wollende Grundhaltung, in ein So- wohl-als-auch.
Apokalypse heißt Offenbarung, und wenn sich etwas offenbart, wenn eine Hülle abfällt, dann ist dies nicht nur ein dunkler oder negativer, sondern auch ein Wahrheitsmoment. Es enthüllen sich neue Wege, und die Krise gebiert Entschei- dungsmöglichkeiten: zwischen einem Immer-menschlicher-werden, immer ganzer, oder einem Vereinzelter-werden, technisierter und abhängiger. Es ist die Entscheidung zwischen normativer und schöpferischer Moral, zwischen Misstrauen und Kontrolle auf der einen Waagschale und Vertrauen in den Geist auf der anderen.
Dass wir alle in verschiedener Weise unter der Polarisierung der Gesellschaft leiden, ist deut- lich. Wer oder was ist dafür verantwortlich? Wie lässt sich die Spaltung überwinden? Für Kerstin Chavent ist diese Frage nicht mehr so zu beantworten, dass man einseitige Schuldzuweisungen vornimmt. Und im Zuge dessen erst den Bürger sanktioniert und dann den Menschen abschafft. Schaut man tiefer, dann enthüllt sich in der vermeintlich alternativlosen "neuen Normalität" die Aufgabe jedes Einzelnen, sein Bewusstsein zu weiten.